Geschichte der Seuchen – die umwälzende Kraft der Pandemien

Pandemien kommen im Stillen, mischen sich heimlich unter die Gesellschaft, verbreiten dort Angst und Schrecken, wenn sie wütend und verändern nachhaltig die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Pest, Cholera, Pocken, Polio, HIV, Influenzaviren und Corona: Epidemien begleiten den Menschen seit Jahrhunderten. Die Geschichte des Menschen, ist eine Geschichte der Seuchen. Sie bringen Imperien zu Fall, verändern die kulturelle und soziale Entwicklung, beschleunigen Innovationen und technische Entwicklungen und verändern die Gefüge der Welt. 

Im Jungzeitlichen Europa kam es, etwa beim Übergang zur Bronzezeit, zu einem Zusammenbruch der damaligen Bauernkolonien und zu einer massiven Einwanderung und Ausbreitung eurasischer Steppennomaden wie den Jamnaja. Dies hatte tiefgreifende kulturelle und soziale Veränderungen zur Folge. In DNA-Analysen prähistorischer Skelettfunde wurde das Erbgut eines Erregers sequenziert, welcher Jahrhunderte später die Welt nochmals verändern wird: Das Bakterium Yersinia pestis, aus der Familie der Enterobakterien. Der Erreger der Pest. Die Jamnaja ersetzten und durchmischten die damaligen Bauernkulturen und brachte mit ihrer helleren Hautfarbe den Grundstein des heutigen Genpools der europäischen Bevölkerung. Auch die indoeuropäischen Sprachen sind ein Erbe der Jamnaja.

Etwa 3000 Jahre später, im Zeitalter des oströmischen Kaisers Justinian, bricht die Pest erneut aus und führt zum Übergang der Spätantike in das frühe Mittelalter. Folgen des Massensterbens durch die Justinianischen Pest, welche sich über zweihundert Jahre in mehreren Wellen und Ausbrüchen verbreitete, waren Nahrungsmittelknappheit, Absinken der Steuereinahmen und zunehmende Personalnot bei den Soldaten zur Verteidigung der Reichsgrenzen. Die demografischen und wirtschaftlichen Folgen sind einer der Gründe für den Zusammenbruch des römischen Reichs und Neuorientierungsprozesse, die auch das Erstarken des islamischen Weltreichs zur Folge hatten.

Die Pest kommt als schwarzer Tod Mitte des 14. Jahrhunderts zurück und führt zu einem Massensterben von bis zu einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Das öffentliche Leben bricht vorübergehend komplett zusammen. Die Auswirkungen führen zu einem tiefgreifenden Wandel aller gesellschaftlichen Bereiche und letztendlich zum Beginn der Renaissance. Durch die massive Entvölkerung in allen Gesellschaftsschichten kommt es zu steigenden Löhnen und einem besseren Ansehen der landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufe, welche sich auch in einem Ende der Leibeigenschaft als Folge des Bauernaufstandes zeigen. Zünfte nehmen Mitglieder auf, die zuvor abgelehnt worden wären, arme Familien bekommen die Möglichkeit verlassene Betriebe und Bauernhöfe zu übernehmen und der große Mangel an Arbeitskräften beschleunigt die Mechanisierung der Arbeit und den Innovationsdruck, welche unter anderem in der Erfindung des Buchdrucks oder des Webstuhls endeten. Die Städte führten umfangreiche Verordnungen wie Wasserversorgung, Straßenreinigung, aber auch im Bereich Markt & Lebensmittel ein. Die Pest ist im Übrigen kein ausgerotteter Schrecken. Kleinere Ausbrüche gibt es bis heute, wie beispielsweise in Madagaskar und zunehmende Antibiotikaresistenzen könnten die Pest erneut zu einem ernstzunehmenden, globalen Problem machen. 

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Die Pockenviren (auch Blattern oder Variola gennant) waren vermutlich bereits zu Wikingerzeit existent und verursachten immer wieder größere Epidemien. Zusammen mit der Pest zählt sie zu den schlimmsten Seuchen Europas. Sie machte weder vor Adelshäusern, noch vor Königen halt und wer die Pocken überlebte, war in der Regel blind und von Narben entstellt. Besonders schlimm wüteten die Pocken jedoch in der neuen Welt, wo sie ab dem 16. Jahrhundert von europäischen Eroberern verbreitet wurden. Durch eine fehlende Immunität der indigenen Bevölkerung starben bis zur Hälfte der damaligen Völker und trug maßgeblich zum Untergang vieler Kulturen bei. Als Ersatz für wegfallende Arbeitskräfte brachten die Konquistadoren afrikanische Sklaven nach Lateinamerika. Das entsetzliche Handeln der neuen Herren veränderte den amerikanischen Kontinent grundlegend und führten zum Untergang ganzer Kulturen und Völker. Doch auch im Rest der Welt wütete das Virus hemmungslos und führte noch im 20. Jahrhundert zu weltweit 300 Millionen Todesfällen. Die Geschichte der Pocken markieren zugleich einen Wendepunkt in der Medizingeschichte. Der englische Arzt Edward Jenner entwickelt aus dem Erreger der Kuhpocken eine Impfung für den Menschen. Jenner nannte seine Entwicklung Vaccination (lat. Vaccinus; ‚von den Kühen stammend‘) und schlug damit ein neues Kapitel der Medizin auf, dass das Leben der Menschen im Laufe der Zeit grundlegend änderte. Ab dem 19. Jahrhundert führten immer mehr Länder eine Impflicht gegen die schreckliche Krankheit ein, welche allerdings von heftigen Protesten begleitet wurde. Seit 1980 gelten die Pocken weltweit als ausgerottet. Ein Erfolg, der ohne Impfung nicht möglich gewesen wäre.

Im 19. Jahrhundert durchzog eine neue Seuche in mehreren Epidemien und Pandemien die ganze Welt. Die Cholera. Das Bakterium Vibrio cholerae verursacht eine schwere Infektionskrankheit des Darmtraktes, mit sehr kurzer Inkubationszeit und einer Letalität von bis zu 70%. Die Cholera veränderte das Antlitz von Städten und ebnete den Weg zu neuen Konzepten der Stadtplanung, sowie neuen Hygienekonzepten und sanitären Reformen. Lange Zeit wurde der Erreger in stickiger Luft vermutet und ließ etliche Stadtparks (beispielsweise in New York), sowie breite, luftige Straßen (große Chausséen Paris) entstehen. Die Cholera gilt als Motor für zahlreichende sanitäre Reformen. Abwasseranlagen werden gebaut, Slums werden saniert, Trinkwasserfilteranlagen installiert, Aquädukte abgebaut und Tiere zunehmend vor die Stadt befördert. Die sanitären Reformen gelten als einer der Schlüssel zum Funktionieren einer modernen Stadt. Die Cholera veränderte das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen in der Politik und Hygienekonzepte, die sich letztendlich auch in dem Entstehen der internationalen Gesundheitskonferenz und dem Abschluss internationaler Konventionen, sowie der Gründung zahlreicher Vereine und der Verbesserung der Ausbildung von Medizinern niederschlug.

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Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Influenza-Viren. Die bekannteste, jedoch nicht die Einzige, ist die Spanische Grippe (Influenza A, H1N1). Auch die Asiatische Grippe (Influenza A, H2N2), Hongkong-Grippe (Influenza A, H3N2), Russische Grippe (Influenza A, H1N1) und die im 21. Jahrhundert folgende Vogelgrippe (Influenza A, H5N1) und Schweinegrippe (Influenza A, H1N1) hatten epidemisch durchaus große Auswirkungen. Die Spanische Grippe kostete mit mehr als 40 Millionen Todesfällen mehr Menschenleben als der ihr vorausgehende zweite Weltkrieg und löste zahlreiche, zum Teil mit dem Kriegstreiben verwobene Prozesse aus. Letztendlich entstand aus den internationalen Bemühungen ein Völkerbund, der als Vorgänger der WHO zu sehen ist. Die Staaten erkennen ihre Pflicht zur gesundheitlichen Vorsorge und Verantwortung gegenüber der Bevölkerung. Das Massensterben verschiebt auch politische Machtverhältnisse. Der fehlende Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für das einfache, indische Volk befeuerte Widerstand, angeführt von Mahtma Ghandi, was Indien der Unabhängigkeit näherbrachte. Das Versagen öffentlicher Einrichtungen und Ärzte ließ jedoch auch Zweifel an der Wissenschaft, einen Schub für Alternativmedizin und vor allem das Verständnis für Prävention und gesundes Leben entstehen. Die Tragik des Kriegs und der darauffolgenden Pandemie hinterließen auch in der Kunst deutliche Spuren: Bauhaus-Gebäude verdrängen den romantischen Jugendstil und die Zwölftonmusik wurde geboren.

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Auch eine weitere Pandemie schlich sich im 20. Jahrhundert unter die Bevölkerung, verursachte dramatische ökonomische Effekte, veränderte die LGBTQ-Gemeinschaft durch die Silence = Death Bewegung und damit auch die gesellschaftliche Wahrnehmung: AIDS, verursacht durch die HI-Viren. Bis heute sind über 30 Millionen Menschen an der AIDS-Pandemie gestorben und bis heute spielt Stigmatisierung und Aberglaube (Strafe Gottes, ein Glas sauberes Wasser helfe, Krankheit der Homosexuellen) eine große Rolle. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent ist der Zugang zu Diagnostik und Behandlung schlecht und oft verstärkt die Erkrankung die Armut der Familien, da das ökonomische Standbein wegbricht. Mit der Bekämpfung der Pandemie wurden entscheidende Schritte in der sexuellen Aufklärung getan. Die öffentlichen Outings prominenter Homosexueller, auch nach dem Film von Rosa von Praunheim, änderten schrittweise das öffentliche Bewusstsein und die Wahrnehmung der LGBTQ als Teil der Gesellschaft. Als eine Errungenschaft dieser Bewegungen kann die Home-Ehe angesehen werden.

Heute, inmitten der Corona-Pandemie, hat sich unser Leben erneut verändert, doch das COVID-19 Virus ist keineswegs der erste Vertreter der Familie, welcher sich epidemisch oder pandemisch verbreitet. Ende des Jahres 2002 wütet SARS pandemisch, mit Schwerpunkten im asiatischen Raum, vor allem Taiwan, China, Singapur und Hongkong. Auf der arabischen Halbinsel wütet 2012 MERS, beides Beispiele aus der Familie der Corona-Viren. Insbesondere Taiwan, aber auch Singapur fällt es wesentlich leichter mit der Covid19-Pandemie umzugehen. Sie haben ihre Lehren aus SARS gezogen und Strukturen etabliert, die eine weitgehende Rückkehr zum Alltag bei niedrigen Infektionszahlen erlauben. Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, welche langfristigen Veränderungen die Corona-Pandemie in unserer Gesellschaft und Entwicklung hinterlassen werden. Corona beschleunigt die Digitalisierung der Arbeitswelt und das Verständnis von der Arbeit von Zuhause. Es legt allerdings auch erbarmungslos den Nachholbedarf der Digitalisierung der Schulen in Deutschland offen, was die Bildungsungerechtigkeiten und Undurchlässigkeit des Schulsystems verstärkt. Einen Innovationsschub haben die mRNA-Arzneitmittel erlebt. Daraus ergeben sich Chancen für die Bekämpfung weiterer Krankheiten wie Ebola und HIV. Es ist zu hoffen, dass dieser Entwicklungsschub und die absolute Notwendigkeit der Investition in pharmazeutische Forschung für längere Zeit präsent bleibt und auch die praktisch zum Erliegen gekommene Forschung an neuen Antibiotika wiederaufleben lässt. Mit der Zunahme der Resistenzen können harmlos gewordene, alt bekannte Vertreter erneut pandemisch werden und immensen Schaden anrichten. Ökonomisch lässt sich eine Tendenz zur Fokussierung auf die nationale Wirtschaft beobachten. Womöglich werden Nationen Lagerbestände bestimmter Güter für die Notfallversorgung (zB Arzneitmittel, Schutzkleidung) aufbauen und nationale Produktionen vermehrt fördern. Ob dies zu einer globalen Entwicklung weg von internationaler Arbeitsteilung und Lockerung oder Aufhebung von internationalen Verflechtungen führt, bleibt abzuwarten. Eine Chance birgt die Pandemie ebenso für die Wissenschaftskommunikation. Das Interesse der Bevölkerung an naturwissenschaftlichen Themen im Allgemeinen, wie auch der pharmazeutischen Entwicklung und Virologie im Besonderen, hat stark zugenommen. Ebenso erkennen Politik, Medien und Firmen ihre Verantwortung und den Bedarf an Aufklärung, Information und Bildung über neue Entwicklungen und naturwissenschaftliche Zusammenhänge. 

Die Häufung von Pandemien hängt auch eng mit dem globalisierten Leben des Menschen und der Vernachlässigung von Umwelt- und Naturschutz zusammen. Megastädte bieten riesige Brutnester, wo Ausbreitungen von Krankheiten schwer zu kontrollieren sind. Die Klimaveränderungen und das Zusammenpressen der Arten auf einen immer kleineren Lebensraum lassen Kontakte zwischen Tieren, aber auch mit Menschen entstehen, die es zuvor nicht gab. Dies begünstigt und befeuert die Entstehung von Zoonosen, wie auch das jetzige Corona-Virus eine ist. Auch Ebola, HIV, SARS, MERS und viele weitere sprangen von den Tieren auf den Menschen über. Ein tragender Pfeiler im Schutz vor neuen Pandemien stellt somit Natur- und Artenschutz dar. 

Die umwälzende Kraft der Seuchen

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