Der Ursprung eines Gedankens

Wir lernen fortwährend etwas Neues. Sei es dieser Text, den Sie gerade lesen, ein Instrument spielen, Fahrrad fahren, neue Namen oder Telefonnummern (lernt man heutzutage noch Telefonnummern?), Abläufe, Zusammenhänge, Wege oder Sprachen. Unser Gehirn vollbringt jeden Tag Höchstleistungen. Dabei kommen uns alle möglichen Dinge in den Kopf, wir führen gar ganze Dialoge mit uns selbst. Wie funktioniert das?

Effizienter als jede KI

Neurobiologisch betrachtet ist ein Gedanke ein messbares Aktivitätsmuster in unserem Kopf. Schauen wir uns zunächst den Aufbau unseres Gehirns ein bisschen genauer an und kommen später wieder zu dem Gedanken zurück. Das Gehirn befindet sich, geschützt von der Schädelhöhle, in unserem Kopf und stellt die Schaltzentrale unseres Körpers dar. Es verarbeitet Unmengen an Sinneswahrnehmungen, speichert Informationen, koordiniert Verhaltensweisen und auch Körperfunktionen. Hierfür benötigt es eine Fülle an Nervenbahnen und Nervenzellen: ungefähr 90 Milliarden Nervenzellen und ungefähr 5,8 Millionen Kilometer Nervenbahnen. Das hört sich nicht nur nach einer beeindruckenden Länge an, sondern es ist tatsächlich auch so. Unsere Nervenbahnen ließen sich mehr als 100 Mal im die Erde wickeln. Neben der entsprechenden Verkabelung ist allerdings auch einiges an Energie nötig. Obwohl es nur etwa 2% der Masse ausmacht, ist es an bis zu 20% des gesamten Energieverbrauch beteiligt. Bei einem Neugeborenen kann der Energieverbrauch auf bis zu der Hälfte des Gesamtverbrauchs des ganzen Körpers ansteigen. Unser Gehirn verbraucht 20 Watt Energie, was ungefähr der Leistung einer schwachen Glühbirne entspricht. Das hört sich vielleicht etwas nichtssagend an. Vielleicht hilft folgender Vergleich die Effizienz unseres Gehirns zu verdeutlichen: Eine künstliche Intelligenz ist in der Lage ein Einhorn aus Millionen anderer Bilder mit Zebras zu erkennen. Dafür braucht sie jedoch viel Energie in Form von großen Rechenzentren, die aufwendig gekühlt werden müssen. Unser Gehirn vollbringt diese Leistung mit 20 Watt. Müsste eine KI die Leistung unseres Gehirns vollbringen, bräuchte man vermutlich eigene Kraftwerke, die es mit der benötigten Energie versorgen. Wollte man alle Informationen, welches unser Gehirn verarbeitet und speichert auf Festplatten speichern, bräuchte man tausende an Festplatten. Das Gehirn arbeitet also unfassbar effizient. Wie vollbringt es diese Leistung?

Grob gesagt, lässt es sich in fünf Bereiche aufteilen: Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn und Nachhirn. Das Großhirn ist der Bereich des Menschen, der am höchsten entwickelt ist. Es lässt sich in zwei Hälften, welche über Balken verbunden sind und diese wiederum in verschiedene Hirnlappen unterteilen (Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen). Die Oberfläche des Großhirns ist stark gefaltet und diese Faltung ist für jeden Menschen individuell. Im Großhirn liegt unter anderem das Sprachzentrum. Außerdem werden von hier kognitivem Prozesse ausgeführt. Das Kleinhirn lässt sich in drei weitere Teile unterteilen und kümmert sich unter anderem um das Gleichgewicht, den Muskeltonus und die Muskelbewegung. Das Zwischenhirn lässt sich in vier Teile gliedern und ist eine Art Schaltstation und Leitzentrale für viele sensorische und motorische Funktionen. Das vegetative Nervensystem wird von hier gesteuert, genauso wie das Hormonsystem. Auch pH, Temperatur, Blutdruck und sogar die biologische Uhr werden von hier kontrolliert. Viele Informationen kommen dort an und werden weitervermittelt. Das Mittelhirn und Nachhirn, mit dem Hirnstamm, ist der älteste Teil unseres Gehirns. Es ist unter anderem für grundlegende Körperfunktionen, wie die Bewusstseinslage und Reflexe zuständig (beispielsweise Lidschluss-, Schluck-, Hustenreflex, Augenbewegung, Atmung oder Herzschlag).

Auf der Suche nach den Gedanken

Zoomen wir nach dieser groben Übersicht noch ein bisschen weiter in unser Gehirn und schauen uns die Zelltypen genauer an. Im Gehirn finden sich Glia- und Nervenzellen. Beide spielen eine wichtige Rolle für die Funktionsfähigkeit des Gehirns. Lange wurden Gliazellen lediglich eine Stütz- und Haltefunktion zugesprochen, doch heute weiß man, dass sie ebenfalls für den Stofftransport, Flüssigkeitsaustausch und die elektrische Isolation der Nervenzellen verantwortlich sind. Darüber hinaus spielen sie auch bei weiteren Prozessen eine Rolle. Auf der Suche nach dem Gedanken stößt man schnell auf Nervenzellen, auch Neuronen genannt. Sie sind über Synapsen miteinander verbunden. In unserem Gehirn sind nicht nur etwa 90 Milliarden Nervenzellen, sondern auch etwa 100 Billionen Synapsen vorhanden. Der typische Aufbau eines Neurons besteht aus einem Zellkörper und Zellfortsätzen, die sich stark verästeln und erstaunliche Längen von fast einem Meter erreichen können. Von den Besonderheiten abgesehen, besitzen Nervenzellen den gleichen Aufbau, wie andere Zellen auch (Zellkern, Plasma, Zellorganellen). Der Zellkörper verfügt über zwei Arten von Fortsätzen: Dendriten und Neuriten (oder Axone). Dabei ‚nehmen‘ Dendriten passiv elektrische Reize auf, die sich über die Zellmembran ausbreiten und von Axonen weitergeleitet werden. Die Reize oder elektrische Erregung nennt man auch Aktionspotential. Oft sind Nervenzellen von einer Myelinschicht umhüllt, die sie isolieren und so eine bessere Reizübertragung ermöglichen. Übersteigt die Erregung eine bestimmte Schwelle, wird das Signal verstärkt und kann so große Distanzen innerhalb kurzer Zeit zurücklegen. So kann ein Impuls, der vor Gefahr warnt oder Schmerz auslöst mit Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/h durch unser Nervensystem flitzen. Nervenzellen können entweder mit einer weiteren Nervenzelle (über Synapsen) oder mit anderen spezialisierten Zellen zB. Eines Muskels verbunden sein. Synapsen, als Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, machen möglich, dass der Reiz übertragen wird, was entweder elektrisch oder chemisch geschieht. Bei der chemischen Übertragung kommen Botenstoffe (Neurotransmitter) ins Spiel. Das System ist in Wirklichkeit nochmals wesentlich komplexer, doch für die Suche nach dem Gedanken reicht uns dieser Einblick vorerst.

Ist nun ein Neuron gleich ein Gedanke?

Man hat herausgefunden, dass es bestimmte Neuronen gibt, die immer beim Anblick eines Fotos der Person, beim Schriftzug des Namens oder beim Klang der Stimme aktiv werden. Das Neuron war also tatsächlich auf diese Person und nicht nur ihre Stimme oder ihr Gesicht spezialisiert, doch das ist die Ausnahme. In unserem Gehirn gibt es schlicht nicht den Platz, damit wir für alle Personen und Objekte spezialisierte Großmutter- oder Objektneuronen haben. Wenn wir beispielsweise ein blaues Flugzeug am Himmel sehen, müssen vollkommen verschiedene Eindrücke wie Geräusche, Farbe, Form und Bewegung verarbeitet werden und wieder zu einem Gedanken oder einer Erkenntnis zusammengesetzt werden. Es gibt Studien, die zeigen, dass mehrere Neuronen einen Verbund bilden, gleichzeitig aktiv sein können und sich darüber sozusagen zusammenschalten. Diese Verbünde entsprächen dann einer Wahrnehmung, wie einer Erinnerung oder eines Gedankens. Ist also ein Gedanke eine Synchronisation verschiedener Verbünde an Nervenzellen? Darüber lässt sich bis heute kein abschließendes Urteil bilden. Es ist bis heute nicht geklärt, wie diese wechselnden Verbünde sich organisieren und wie sie verbunden sind. Und wie wird aus einem Gedanken ein Handeln? Wie wird, um auf unser Beispiel mit dem blauen Flugzeug zurückzukommen, aus einem Gedanken ein motorischer Prozess, ein Wort? Sicher ist, dass Gedanken chemische Kettenreaktionen und elektrische Reize sind, die in oszillierenden Verbünden aktiv sind. Vieles ist jedoch noch ein zu erforschendes Rätsel, über das wir uns wohl weiterhin Gedanken machen müssen.

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