Der Spiritus der Unsterblichkeit – über das Altern

Unser Planet beherbergt alle Variationen des Lebens und Alterns und Überlebenskünstler mit ungeahnten Fähigkeiten. Die Eintagsfliege Oligoneuriella rehnana lebt im geschlüpften Stadium etwa 40 Minuten, in der sie sich überhastet paart. Der mexikanische Schwanzlurch Axolotl kann Gliedmaße, Organe und sogar Teile seines Gehirns regenerieren und erreicht trotzdem nur ein Alter von etwa 20 Jahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau beträgt 74,9 Jahre, wovon sie allerdings nur 30 Jahre fruchtbar ist. Wesentlich länger lebt der Grönlandhai mit einer Lebenserwartung von rund 400 Jahren. Der Mammutbaum hängt hier nochmals eine Null dran und wird bis zu 4000 Jahre alt. Das Risiko zu sterben bleibt für den Süßwasserpolyp Hydra das ganze Leben lang gleich. Diese erstaunlichen Nesseltierchen besitzen nicht nur eine Lebenserwartung von mehreren Jahrhunderten, sondern auch die Fähigkeit sich zu regenerieren, wenn man das Tier in fünf Teile schneidet. Ein Hauch der Unsterblichkeit bietet auch der Nacktmull, welcher alt wird, ohne zu altern. Mit einer Lebenserwartung von über 30 Jahren bildet er eine Ausnahme unter den Nagetieren und verfügt ebenfalls über erstaunliche Regenerationsfähigkeiten.

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Die Vielfalt des Alterns

Leben, Fortpflanzung und der Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Es stellt den ewigen Kreislauf des Lebens dar und ist das einzige, was tatsächlich unsterblich ist. Vergleicht man die Sterblichkeit, Fertilität und Überlebensrate verschiedener Arten, entdeckt man eine außerordentliche Vielfalt an Überlebensstrategien. Sie scheinen nur eines gemeinsam zu haben: irgendwann stirbt jeder. Von einer allgemeingültigen Theorie des Alterns ist man noch weit entfernt. Selbst die logisch erscheinende Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit zu sterben mit dem Alter grundsätzlich zunimmt, trifft nicht immer zu. Für den Menschen und auch Primaten wie beispielsweise Schimpansen ist dies zutreffend. Bei manchen Arten ist die Wahrscheinlichkeit zu sterben das ganze Leben lang gleich. Dazu gehören die oben erwähnten Beispiele der Hydra, des Nacktmulls, aber auch einige Seeanemonen, manche Würmer und der Einsiedlerkrebs. Die Hydra entkommt dem Verfall, dank ihrer Stammzellen, welcher in größerer Anzahl vorhanden sind, als spezialisierte Körperzellen und eine Quelle ständigen Nachschubs für neue Zellen darstellen. Sie erfährt tatsächlich fast ausschließlich extrinsische Sterblichkeit. Nacktmulle besitzen ein außerordentliche effizientes Genreperatursystem, eine sehr hohe Proteinstabilität und unterbrechen weitere Signalwege, die in der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Da sie zudem keine Substanz P und einen anders aufgebauten Schmerzrezeptor besitzen, ist ihr Schmerzempfinden deutlich reduziert. Insgesamt verleiht es ihnen eine konstante Sterbewahrscheinlichkeit und eine wesentlich längere Lebenserwartung, als die anderer Nager. Bei anderen Arten kann beobachtet werden, dass ihre Sterbewahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens sogar abnimmt: die farbwechselnde Koralle Gorgonie, die kalifornische Gopherschildkröte oder die Eiche Quercus Rugosa. Eventuell hängt dies damit zusammen, dass sie immer größer werden und somit Angriffen von Fressfeinden besser widerstehen können. Bei vielen Vögeln, aber auch Fischarten, steigt die Sterbewahrscheinlichkeit zunächst stark an und stabilisiert sich dann auf einer Geraden. Auch die Fertilität der Arten kennt alle Variationen. Die menschliche Frau ist ungefähr 30 Jahre ihres Lebens fertil und lebt nach dem Ende ihrer Fertilität noch Jahrzehnte weiter. Der Steppenpavian und der Alpensegler sind bis zu ihrem Tod fertil. Grönlandhaie erreichen erst nach 150 Lebensjahren überhaupt die Geschlechtsreife, während die pazifische Riesenkrake, männliche Ameisen und die männlichen Vertreter einer Beuteltierart sofort nach der Fortpflanzung sterben. Auch der Zusammenhang, dass höher entwickelte Arten Langlebigkeit erfahren, lässt sich nicht generell aufstellen, da Kraken eine hohe Intelligenz und eine kurze Lebensdauer aufweisen. Die Suche nach einer einheitlichen Theorie des Alterns ist schwierig, doch wie altern wir überhaupt?

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Owen R. Jones, Alexander Scheuerlein, et al. – Diversity of ageing across the tree of life
Nature 2013, DOI: 10.1038/nature12789 Published online 08 December 2013

Wie wir altern

Während weitgehend klar ist, welche Mechanismen auf molekularer Ebene für den Alterungsprozess verantwortlich sind, kann die Frage nach dem Warum noch nicht eindeutig beantwortet werden. Mit dem fortschreitenden Alter häufen sich Schäden an, die nicht mehr repariert werden können und zu Funktionsstörungen mit einer erhöhten Anfälligkeit für den Tod führen. Im Wesentlichen gelten neun Faktoren als Kennzeichen des Alterns in den verschiedenen Organismen: genomische Instabilität, Telomerverschleiss, epigenetische Einflüsse, Verlust der Proteostase, Dysfunktion der Mitochondrien, deregulierte Nährstoffwahrnehmung, zelluläre Seneszenz, Änderungen der interzellulären Kommunikation und Erschöpfung der Stammzellen. Der Alterungsprozess ist komplex und besteht aus vielen zum Teil unabhängigen, zum Teil aufeinander aufbauenden molekularen Prozessen.

Wer es genauer wissen möchte:

  1. Genomische Instabilität: Unser Genom umfasst einen Bauplan für alle notwendigen zellulären Prozesse und ist als Erbgut in Form von DNA (oder RNA) in fast allen Zellen enthalten. Das Genom ist permanent schädlichen intrinsischen wie extrinsischen Einflüssen ausgesetzt (exogene physikalische/chemische/biologische Wirkstoffe, Replikationsfehler, Hydrolyse usw.). Man schätzt, dass das Erbgut einer jeden Zelle bis zu 1 Millionen Mal pro Tag geschädigt wird. Obwohl es ausgeklügelte und sehr effektive Prozesse der Selbstreparatur gibt, häufen sich mit der Zeit Genomschäden an (Punktmutationen, Translokationen, Chromosomen- und Telomerveränderungen, viral bedingte Läsionen usw.). Schäden an dem Erbgut begünstigen ebenso die Entstehung von Krebs. Bestimmte Erkrankungen oder Lebensangewohnheiten (rauchen, Übergewicht, Sonnenbaden) können den Alterungsprozess beschleunigen.
  2. Telomerverschleiss: Telomere stellen die Enden der Chromosomen dar und eine Verkürzung derer führt zu einer Genominstabilität. Man kann sich ein Telomer vorstellen, wie das Haargummi am Ende eines geflochtenen Zopfs, ohne welches der Zopf instabil ist und zerfällt. Wie auch ein Haargummi mit jeder Benutzung immer unelastischer wird und irgendwann reißt, nutzen sich die Enden der Telomere bei jeder Zellteilung ab. Zum Schutz der Telomere ist ein Enzym aktiv (Telomerase), dessen Aktivität mit dem Alter immer weiter abnimmt, bis es schließlich inaktiv ist.
  3. Epigenetische Einflüsse: Die Basis des Lebens bilden vier Buchstaben, die alles codieren, was die Natur in ihrer unendlichen Vielfalt hervorbringt. Diese vier Buchstaben (A,T,C und G) codieren einen zwei Meter langen DNA-Faden, welcher verpackt und aufgerollt ist, um in den winzigen Zellkern zupassen. Jene Proteine, um welche die DNA im Zellkern gewickelt ist, nennt man Histone. Beides kann geringfügige Änderungen, beispielsweise Methylierungen, enthalten, mit welchen einzelne Gene aktiviert oder deaktiviert werden können. Diese Veränderungen bilden das Epigenom, welches ebenfalls eine Rolle beim Altern spielt, da sich unter anderem die Kontrolle über die Genaktivität ändert.
  4. Verlust der Proteostase: Unser Genom codiert den Bauplan aller Proteine. Damit dieses seine Funktion und Aktivität erfüllt, muss es jedoch auf eine ganz bestimmte Art und Weise gefaltet werden. Die Proteostase beschreibt die Aufrechterhaltung der Form und Menge aller Proteine. Ist ein Protein falsch gefaltet, ist es unwirksam oder gar toxisch. Das bekannteste Beispiel hierzu ist die Alzheimer Krankheit, welche durch fehlgefaltete Proteine verursacht wird. Obwohl es diverse Kontrollmechanismen und auch eine Art zelleigene Müllabfuhr gibt, nehmen fehlgefaltete Proteine mit dem Alter zu und verursachen altersbedingte Krankheiten und Fehlfunktionen.
  5. Dysfunktion der Mitochondrien: Mitochondrien stellen das zelluläre Kraftwerk dar, welches die benötigte Energie für Prozesse und chemische Reaktionen liefert. In ihnen läuft der essenzielle Prozess der Energiegewinnung aus eingeatmetem Sauerstoff. Dabei entstehen jedoch auch freie Radikale, welche sowohl einen schädlichen Einfluss auf intrazelluläre Moleküle haben kann, wie auch eine wichtige Rolle in der Übermittlung von zellulärem Stress innehaben, der unter anderem Erhaltungs- und Reparaturprozesse beeinflusst. Eine mitochondriale Dysfunktion beeinflusst somit wichtige Singalwege, Prozesse und die Leistungsfähigkeit der Zelle und lässt altersbedingte Krankheiten wie Myo- und Neuropathien entstehen.
  6. Deregulierte Nährstoffwahrnehmung: Zellen reagieren auf ein ausreichendes Nährstoffangebot, indem sie Energie speichern und wachsen. Werden Zellen hingegen einem ständigen Nährstoffüberangebot ausgesetzt, werden zelluläre Mechanismen und ihre Reaktion auf das vorhandene Angebot zunehmend unempfindlicher. Dies geschieht bei Fettleibigkeit und Diabetes, jedoch auch mit zunehmendem Alter. Eine ganze Reihe an Studien bestätigt, dass kalorische Restriktion (reduzierte Nahrungsaufnahme) die Lebenserwartung steigert. Als besonders wichtig haben sich die Nährstoffsensorennetzwerke des Insulin/IGF (Insulin-Wachstumsfaktor) und der TOR (Target of Rapamycin)- Stoffwechselwegs als wichtige Kennzeichen des Alterns herausgestellt. Eine Hemmung dieser Netzwerke verlängerte die Lebenserwartung im Tierversuch.
  7. Zelluläre Seneszenz: Zellen teilen sich fortwährend, um andere Zellen zu ersetzen oder um den Organismus wachsen zu lassen. Den meisten Zellen ist es nicht möglich, sich unendlich zu teilen. Irgendwann ist die Kapazität erschöpft und die Zelle geht in einen Überstand über, in welchem sie nicht abstirbt, sich jedoch auch nicht mehr teilt. Sie wird eine seneszente Zelle. Ein Grund (von vielen), weshalb Zellen seneszent werden, ist die Verkürzung der Telomere oder Schäden an der DNA. Die Rolle von seneszenten Zellen beginnt man erst zu verstehen. Klar ist, dass manche von ihnen schädliche Moleküle abgeben und dem Organismus schaden.
  8. Änderungen der interzellulären Kommunikation: Für die Funktion unseres komplexen Organismus ist eine intakte Zell-zu-Zell Kommunikation essentiell. Dabei bedienen sich Zellen der unterschiedlichsten Kommunikationswege: physikalisch oder chemisch (Ausschüttung Hormone/Moleküle). Mit zunehmendem Alter werden beide Fähigkeiten, Signale zu senden, wie auch zu empfangen, schlechter. Dies hat entzündliche Reaktionen, Immunsystemschwäche und auch eine erhöhte Anfälligkeit für Krebs zur Folge.
  9. Erschöpfung der Stammzellen: Stammzellen sind Zellen, die sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe differenzieren können. Sie stellen eine (theoretisch unendliche) Quelle neuer Zellen dar. Dabei dürfen sie sich nur dann teilen, wenn neues Gewebe benötigt wird und müssen sich in den Zelltyp differenzieren, den es gerade braucht. Mit dem Alter geht diese wichtige Regulation zunehmen verloren, sodass zum einen die Quelle neuer Zellen nach und nach versiegt und zum anderen unkontrollierte Teilung zur Entstehung von Krebs führen.
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Die Suche nach einer einheitlichen Evolutionstheorie des Alterns

Während man die Prozesse, welche zum Altern führen, beginnt zu verstehen, tappt man auf der Suche nach einer einheitlichen Theorie auf die Frage, weswegen wir altern, weitgehend im Dunkeln. Rein evolutionär betrachtet erscheint es wie ein Paradoxon. Weswegen setzt sich ein Mechanismus, der schadet in allen Arten durch? Weswegen hat die Evolution das Altern geschaffen? Betrachtet man die Ansätze der Evolutionsbiologen Peter Medawar und George Williams, lässt sich schlussfolgern, dass das Altern keinen evolutionären Nutzen aufweist, sondern lediglich einen Nebeneffekt darstellt. Die Mutationsakkumulationstheorie von Peter Medawar besagt, dass die Kraft der natürlichen Selektion bis zur ersten Fortpflanzung hoch bleibt und danach abnimmt. Der Organismus sorgt bis zur ersten Fortpflanzung für die Funktionsfähigkeit aller Prozesse und baut danach kontinuierlich ab. Somit schaden Mutationen und negative Auswirkungen des Alterns, die sich spät im Leben anreichern nicht. Es wird nicht mehr gegen sie selektiert (Selektionsschatten). Auch die antagonistische Pleiotropie von George Williams geht in eine ähnliche Richtung. Schädliche Gene und Effekte des Alterns können sich entwickeln und durchsetzen, da sie erst am Ende der Fortpflanzungsphase entstehen und somit keinen evolutionären Einfluss besitzen. Die natürliche Selektion kann nicht gegen Gene selektieren, selbst wenn diese am Ende den Tod des Organismus verursachen, wenn diese Auswirkungen erst am Ende oder gar nach der Fortpflanzungsphase auftreten. Zusammenfassend lässt sich annehmen, dass das Altern ein Nebeneffekt und kein planmäßiger, evolutionär begünstigter Prozess ist. Diese Theorie kann allerdings nicht erklären, weshalb manche Arten, wie auch der Mensch, nach dem Ende ihrer Fruchtbarkeit noch Jahrzehnte weiterleben und sich dabei lange Zeit bester Gesundheit erfreuen. Ronald Lee schlägt vor diese Theorien nicht nur auf die Fortpflanzung zu beschränken, sondern um die Aufzucht des Nachwuchses zu ergänzen. Somit ist nicht nur die Reproduktion, sondern auch die Aufzucht entscheidend. Viele Theorien beschäftigen sich vor allem mit höheren Organismen, auch weil umfangreiche Daten für wirbellose Arten, Algen, Pilze und Bakterien fehlen. So gibt es bis zum heutigen Tage gibt es zwar eine Vielzahl verschiedener Theorien, jedoch keine einheitliche und allgemein wissenschaftlich akzeptierte Antwort.

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